Nadar Ensemble

Nadar Ensemble

Nadar – Exclusive 10th anniversary vinyl (limited ed.)

www.nadarensemble.be

 

Rezension erschienen in Neue Zeitschrift für Musik 2/2017

 

Im Jahr 2006 gründete sich in Belgien das Nadar Ensemble, ein Musikerkollektiv, dessen Name sich herleitet von Gaspard-Félix Tournachon (1820-1910), der unter dem Künstlernamen Nadar als Fotograf, Karikaturist und Kritiker, aber auch als Ballonfahrer oder Spion von sich reden machte. Darüber hinaus lud er Künstler und Wissenschaftler zu Salons ein, um den interdisziplinären Dialog zu fördern. Ganz im Sinne seines Namensgebers sprengt das Nadar Ensemble alle Genregrenzen und bewegt sich virtuos zwischen Elektronik, Performance, Klangkunst und experimenteller Musik. Die Aufführungen von Nadar, die neue Medien, Videoinstallationen, computergenerierte Klänge, ungewohnte Klangerzeugungen auf herkömmlichen Instrumenten und vieles mehr mit einbeziehen, sind für das Publikum oft Grenzerfahrungen. „Es muss wehtun“, ist Ensemblemitglied Pieter Matthynssens überzeugt. „Wenn es nicht schmerzt, holt es dich nicht aus der Komfortzone. Nur dann stellst du dir Fragen.“

Eher eingängig als schmerzhaft ist hingegen das Geburtstagsalbum anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Nadar Ensembles, das im Herbst 2016 in limitierter Auflage und in Vinyl veröffentlicht wurde und auf der Website des Ensembles gegen eine Spende von mindestens 20 Euro erhältlich ist. Acht Komponisten, mit denen das Ensemble seit Langem eng verbunden ist, haben ihre musikalischen Geburtstagsgrüße mit elektronischen Kompositionen übermittelt, die exklusiv für dieses Album entstanden sind. Doch auch die wenig schmerzhaften Kompositionen provozieren Fragen, denn weder auf dem Album noch auf der Website des Ensembles werden weitere Informationen zu den Stücken oder ihrer Entstehung gegeben. So wird beispielsweise nicht deutlich, ob das Nadar Ensemble an der Produktion der Werke beteiligt war oder ob die Hommage-Kompositionen rein elektronisch entstanden.

Einige der Titel verführen zu weitergehenden Denk- und Assoziationsprozessen. So etwa Michael Maierhofs Komposition Vinyl 1 for motors on a vinyl disc [„Instrumentalmusik des Früh- und Spätbarock 1“]: Gerne würde man live erleben, mit welcher technischen Apparatur der Komponist einer Schallplatte mit Instrumentalmusik des Früh- und Spätbarocks solch motorisch-rhythmische Abfolgen entlockt und ob das Ergebnis mit Schallplatten von Brucknersinfonien oder den Beatles ein anderes gewesen wäre. Nicht nur in diesem Fall führt der Mangel an weiterführenden Informationen in Verbindung mit extrem ausgefallenen Titeleien zu wahrem Kopfkino. Auch bei Alexander Schuberts Komposition mit dem exzentrischen Titel The Password Disco. Simple Truths ^^^^^^^^^^^^^^^^  ^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^  ^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^  poly 16.pat hat man das Bedürfnis, dem Passwort auf die Spur zu kommen, um den zerklüfteten und zerhackten Techno-Disco-Titel wieder zusammensetzen zu können.

Bei diesen und den weiteren „birthday songs“ von Jorge Sánchez-Chiong, Stefan Prins, Michael Beil, Martin Schüttler, Vladimir Gorlinsky und Johannes Kreidler spürt man die Lust, das Nadar Ensemble zu feiern mit elektronischen Präsenten, die sich durch Spielfreude und Leichtigkeit auszeichnen: Eigenschaften, die auch für das Geburtstagskind selbst Gültigkeit beanspruchen können.