Fiddler on the Roof

Fiddler on the Roof

Rachid Hamis Film „La Mélodie – Der Klang von Paris“ gibt eine kleine Andeutung davon, was Musik bewegen kann – nicht mehr, aber auch nicht weniger

Beitrag erschienen in üben & musizieren 1/2018

 

„Wie wird man ein großer Violinist?“, fragt Simon Daoud die Kinder seiner Geigenklasse. „Man muss die Geige stimmen“, „Man muss üben“, „Man muss es wollen…“ Doch die Antwort des Geigenlehrers ist so einfach wie überraschend: „Das Wichtigste ist, dass man Spaß hat“ – „Aber Sie haben doch gesagt, die Geige ist kein Spielzeug“, entgegnen die Kinder verblüfft. In der Tat war dies eine der ersten strengen Anweisungen von Monsieur Daoud gewesen, als er sich in seiner ersten Stunde vor der Klasse bemühte, ansatzweise für Disziplin zu sorgen und zu verhindern, dass die Instrumente als Schilde und die Bögen als Degen missbraucht werden.

Kad Merad, dessen komödiantisches Talent auch bei uns in Deutschland bekannt wurde durch seine Rolle als schlitzohriger Postangestellter in der französischen Erfolgskomödie Willkommen bei den Sch’tis, zeigt in Rachid Hamis neuem Film La Mélodie – der Klang von Paris eine ganz andere Facette seiner Schauspielkunst: Als arbeitsloser Musiker übernimmt er die scheinbar aussichtslose Aufgabe, den Kindern einer Problemschule in einem Pariser Banlieue das Geigespielen im Klassenunterricht beizubringen. Die Eltern der Sechstklässler stammen aus Ghana und der Elfenbeinküste, aus Algerien und Marokko oder – vielleicht am allerschlimmsten – wurden selbst bereits in einem dieser Pariser Vororte geboren, über deren Zustände wir Wohlstandsbürger uns nicht wirklich klare Vorstellungen machen wollen.

Dieses Setting kommt einem nur allzu bekannt vor aus einer Reihe von Filmen, die – mit dem venezolanischen Orchesterwunder „El Sistema“ im Hinterkopf – immer hart am Rande des Sozialkitschs entlang das Märchen von den Heilkräften der Musik und ihrem Anteil am wundersamen Aufstieg aus der Gosse zum selbstbestimmten Mitglied der Gesellschaft erzählen. Auch Rachid Hamis Film entkommt der Gefahr der Verkitschung und Vereinfachung nicht ganz – und ist in seinen besten Momenten doch wohltuend anders.

So ist die mit dem eingangs beschriebenen Wendepunkt eingeleitete Wandlung von Simon Daoud vom unmotivierten Zuchtmeister zum begeisterten Pädagogen nicht stringent herausgearbeitet und bleibt letztendlich ein ebensolches Wunder wie die Leistungen der kleinen Streicherklasse, die nach nur einem Schuljahr mit einer beinahe makellosen Scheherazade in der Philharmonie auftritt. Und so mancher Konflikt, der unvermeidlich und für uns alle nachvollziehbar sowohl innerhalb der Klasse als auch im Umgang mit einigen Eltern auftritt, verschwindet allzu leicht und so rasch, wie er gekommen war.

Diesen Schwachpunkten stehen jedoch zahlreiche Momente gegenüber, in denen die Kamera nichts anderes tut, als zu beobachten und die Akteure in ihrem ungekünstelten So-Sein ernst zu nehmen. Wenn der begabte Arnold seine Klassenkameradin bittet, ihm „Geigennachhilfe“ zu geben, erhält man in der ausführlichen und ungeschnittenen Szene einen Eindruck davon, wie Peer Group Learning im besten Sinne funktioniert. Und die sich fast bis ins Unerträgliche ziehende Szene, in der die aufgekratzten, pubertierenden Kinder sich beim gemeinsamen Essen gegenseitig mit sexuell aufgeladenen Schimpftiraden anfeuern und sich in eine Faszination aus Lachen, Gemeinschaftsgefühl und gegenseitigem Übertrumpfen hineinsteigern, steht im ungeschönten Kontrast zur Begeisterung an der Musik, die mit langen Kameraeinstellungen auf den Gesichtern der Kinder abzulesen ist.

Musik erklingt in diesem Film niemals als süßlicher Kleister im Hintergrund, um emotionale Eindrücke suggestiv zu verstärken, sondern nahezu ausschließlich durch die Handlung motiviert. Dadurch erhält der Film eine wohltuende Ruhe und bringt einige besondere visuelle Momente umso mehr zur Geltung. Wenn Arnold sich zum Üben auf das unwirtliche und kalte Dach des Hochhauses, in dem er lebt, zurückzieht, weil er in der kleinen Wohnung keine Ruhe findet, so erzeugt der Ausblick auf die trostlosen Pariser Vororte im Kontrast zu diesem „Fiddler on the Roof“ eine Spannung, die dem Zuschauer nahegeht.

„Die Kinder schaffen es nicht mal eine Minute, sich zu konzentrieren. Und ich muss denen Scheherazade beibringen“, klagt Simon Daoud zu Beginn des Films seinem Freund. „Und kommen sie danach wieder ins Ghetto?“ – „Klar, da können sie ja trotzdem noch Rimsky-Korsakow spielen…“ Diese zynische Floskel wird am Ende des Films zu einem kleinen Hoffnungsschimmer: Das Konzert auf der Bühne der Philharmonie gibt den Kindern einen kurzen Moment des Stolzes und Selbstbewusstseins, der jedoch offenlässt, wie es mit ihrem Leben weitergehen wird. Und das ist das Schönste an diesem Film: dass er nichts verspricht.