Wie im politischen Populismus verschieben sich auch in der Popmusik die Grenzen des Sagbaren
Das wird man doch wohl noch sagen dürfen!
Wie im politischen Populismus verschieben sich auch in der Popmusik die Grenzen des Sagbaren
Beitrag erschienen in Neue Gesellschaft|Frankfurter Hefte 3/2020
„Wo man singt, da lass dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder.“ Musik scheint besonders offen für romantisierende Mythen, die etwa eine umfassende Völkerverständigung („Musik ist eine Sprache, die alle Grenzen überwindet“), die Beförderung besonderer Fähigkeiten („Musizieren macht intelligent“) oder eben – wie in der eingangs zitierten Redewendung – das Gute schlechthin für sich in Anspruch nehmen. Doch bei näherer Betrachtung erweisen sich all diese Behauptungen als äußerst zweifelhaft: Die unterstellte Allgemeinverständlichkeit musikalischer Sprache(n) lässt sich angesichts der Unterschiede zwischen abendländischer Musikkultur und indischer, arabischer oder asiatischer leicht widerlegen, und auch die sehr verkürzte Annahme von Transfereffekten wie Intelligenzsteigerung oder Erhöhung der Sozialverträglichkeit durch Musizieren wird in der musikpädagogischen Forschung kritisch diskutiert.
Beim „Faktencheck“ zum Eingangszitat fällt die Abweichung des Behaupteten mit dem zu Beobachtenden besonders krass ins Auge: Lässt sich doch gerade Musik, die von allen Kunstgattungen am engsten mit unseren Emotionen verknüpft ist, manipulativ einsetzen, was sich nicht zuletzt die Nazi-Diktatur durch propagandistische Hetz-, aber auch Unterhaltungslieder auf besonders perfide Weise zunutze machte. Jazz oder Swing hingegen galten den Nazis als „entartet“ und zersetzend. In der Nachkriegszeit hat sich Pop- und Rockmusik ein Image als kritische Protestkultur aufgebaut, mit der sich Jugend- und Protestbewegungen identifizierten und die den Soundtrack bildete für 68er-Revolte, Hippiekultur, Antikriegsbewegung und viele weitere emanzipatorische Bewegungen.
Der Skandal 2018 um die ECHO-Preisverleihung an die beiden Rapper Kollegah und Farid Bang, die für ihr antisemitische Texte beinhaltendes Album Jung, brutal und gutaussehend 3 ausgezeichnet wurden, führte nicht nur zur Abschaffung des Preises, sondern bildete den Anfang einer erneuten Diskussion über extremistische Inhalte in der Pop- und Rockmusik. In seinem 2019 erschienenen Buch Pop und Populismus fragt der Berliner Musikjournalist Jens Balzer nach der „Verantwortung in der Musik“ und entlarvt die Vorstellung einer per se linken Popkultur als weiteren Mythos. „War Pop nicht immer ein Medium der Schwachen und der Minderheiten, der Emanzipation?“, fragt Balzer und zitiert als Antwort den Kulturkritiker Georg Seeßlen aus dem Jahr 2018: „Die Legende, dass unsere Musik, unsere Filme, unsere Comics automatisch mit dem Progressiven, Sozialen und Liberalen, mit der Verbesserung der Welt verbunden sein müssten, mit dem Geschmack von Freiheit, Gerechtigkeit und Geschwisterlichkeit – diese Legende haben wir schon seit geraumer Zeit begraben.“