Das Fremde und das Eigene
Das Fremde und das Eigene
Hochkultur als Willkommenskultur: Musikprojekte als Instrument in der Flüchtlingsarbeit
Beitrag erschienen in üben & musizieren 4/2016
„Als ich den Kindern etwas auf der Saz vorspielen wollte, lachten sie nur und meinten: ,Also, wir hören ja lieber YOU FM‘.“ Westlicher Popmusik-Sender statt türkischer Kurzhalslaute: Bei der Vorstellung von drei ausgewählten musikalischen Projekten in der Flüchtlingsarbeit, initiiert von der Landesgruppe Hessen der Kulturpolitischen Gesellschaft, bot diese von einer Teilnehmerin vorgetragene Praxiserfahrung willkommenen Anlass, über den eigenen Zugang zu Menschen anderer Kulturen nachzudenken.
Die Sinnhaftigkeit, geflüchteten Menschen und vor allem Flüchtlingskindern den Zugang zu Musik und musikalischem Tun zu ermöglichen, steht außer Frage. Doch wie und womit dies geschehen sollte, darüber lässt sich trefflich streiten. Einen schweren Stand hatte Matthias Setzer, Leiter des Kulturamts der Stadt Bad Homburg, der das Projekt „Sing meine Sprache“ vorstellte. Sprache und Gesang als Schlüssel zur Integration: Unter dieser Leitlinie tritt die Kleine Oper Bad Homburg an und erarbeitet mit Flüchtlingskindern gemeinsam Lieder, die anschließend in eine speziell eingerichtete Aufführung von Mozarts Entführung aus dem Serail integriert werden sollen. Damit möchte das Projekt den Kindern den Einstieg in die deutsche Sprache und Kultur erleichtern.
Doch die konkrete Umsetzung dieses Projekts wurde nicht deutlich genug herausgearbeitet und so mussten viele Fragen unbeantwortet bleiben: Ist der damalige Blick auf eine fremde Kultur, wie er in Mozarts Entführung aus dem Serail zum Ausdruck kommt, der geeignete Zugang, um heute Kindern aus anderen Kulturen unsere Kultur nahezubringen? Hat sich unser Zugang seit Mozarts Zeiten geändert? Wie sieht unsere Kultur überhaupt aus und unterscheidet sie sich so deutlich von der Kultur der Herkunftsländer der Geflüchteten? YOU FM oder Saz?
Für die praktische pädagogische Arbeit ergeben sich viele weitere Fragen: Werden die Kinder integraler Bestandteil der Opernaufführung sein oder ist ihr Gesang nur schmückendes, folkloristisches Beiwerk im Rahmen einer Inszenierung deutscher Hochkultur? Können sie Eigenes einbringen oder beschränkt sich ihre Rolle auf das Erlernen einer kulturellen Praxis, die wir als die unsrige definieren?
Das Projekt „Bridges – Musik verbindet“, von BerufsmusikerInnen und Studierenden gemeinsam gegründet, hat eine andere Zielgruppe im Blick. „Die Grundidee unseres Projekts ist, die Macht der Musik zu nutzen, um Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen mussten und hier in Deutschland gestrandet sind, zu integrieren, Differenzen zu überwinden und einander verstehen zu lernen.“ MusikerInnen unter anderem des hr-Sinfonieorchesters und Musikstudierende laden Flüchtlinge, Migranten und Einheimische ein, miteinander zu musizieren.
Europäische Orchesterinstrumente stehen neben Djembe, Krar oder Rubab. Für das große Tutti-Ensemble wurden eigene Werke komponiert. Vor allem aber bilden sich kleinere, unterschiedlich besetzte Ensembles, die miteinander improvisieren und jammen. Im April 2016 fand ein erstes Benefizkonzert im Sendesaal des Hessischen Rundfunks in Frankfurt statt.
Neben gegenseitigem Kennenlernen und kulturellem Austausch steht bei „Bridges“ auch ein materieller Aspekt im Mittelpunkt: Ein wichtiges Ziel ist, geflüchteten Musikern bezahlte Auftrittsmöglichkeiten zu bieten oder zu vermitteln. Der gut gefüllte Konzertkalender auf der Website zeigt, dass dieses Ziel zum großen Teil erreicht wurde (www.bridges-musikverbindet.de). Die Weiterführung des Projekts ist zunächst auf zwei Jahre bis Ende 2017 angelegt, wofür ein Spendenvolumen von 300.000 Euro eingeworben werden muss. Wie nachhaltig jene musikalischen Projekte in der Flüchtlingsarbeit sind, die außerhalb bestehender Institutionen wie z. B. Orchester oder Musikschulen angesiedelt sind, wird die Zukunft zeigen.
Ganz auf (massen-)mediale Wirkung angelegt ist das Projekt „UNISONO“ des Komponisten Nicolas Ruegenberg. Er komponierte eine Konzertouvertüre, die in einem intensiven musikalischen Dialog mit drei Musikern aus Syrien entstanden ist. Ruegenberg hat hierzu das Hauptthema der Komposition den Musikern überlassen, die sein Werk mit den landestypischen Instrumenten Oud, Nay und Riq interpretierten. Anschließend überarbeitete Ruegenberg die Komposition weiter und ließ Themen aus beiden musikalischen Kulturen einfließen. Die Uraufführung fand im März 2016 in der Berliner Philharmonie mit den Berliner Symphonikern unter großer medialer Aufmerksamkeit statt. Die gesamten GEMA-Einnahmen dieser und weiterer Aufführungen werden an die UN-Flüchtlingshilfe gespendet (www.nicolas-ruegenberg.de/benefizouvertuere-unisono).
In der Diskussion, die sich an diese Projektvorstellung anschloss, wurde die Frage aufgeworfen, inwieweit die Verschmelzung musikalischer Kulturen in solchen Crossover-Projekten nicht auch mit einer Verarmung des jeweiligen musikalischen, kulturellen Reichtums einhergehe. Könnte ein Nebeneinander eventuell ein größeres Verständnis für das jeweils Andere erzeugen als ein (erzwungenes?) Miteinander?
Drei Projekte – viele Fragen. Die Welle musikalischer Willkommenskultur ist, so hat es den Anschein, noch nicht am Abebben. Das ist gut so! Doch aufbauend auf die wunderbare Tatsache, dass so viel geschieht, sollte es nun vermehrt auch um die Fragestellung gehen, wie musikalische Initiativen mit Flüchtlingen ausgestaltet werden sollten. Dazu ist ein vermehrter Austausch unter den Initiativen und eine verstärkte Netzwerkarbeit nötig. Niemand muss das Rad neu erfinden und viele Fragen sind von den seit Jahren an der musikalischen Basis tätigen Musikschulen oder den Education-Abteilungen der Orchester längst schlüssig beantwortet worden.